Interview von François Bausch im Luxemburger Wort

"Jetzt ist die härteste Phase"

Interview : Luxemburger Wort (Michèle Gantenbein, Annette Welsch)

Luxemburger Wort: François Bausch, als wir vor einem Jahr ein Interview mit Ihnen gemacht haben, meinten Sie, die Verkehrslage werde sich nach einer weiteren Legislaturperiode völlig anders darstellen. Nach einer Verbesserung sieht es aber nicht gerade aus. Im Gegenteil ...

François Bausch: Das ist auch nicht erstaunlich. Wir befinden uns jetzt in der härtesten Phase der Umsetzung. Das betrifft die Baustellender CFL, der Tram, und auch einige Straßenbauprojekte. Aber von Jahr zu Jahr werden Elemente dazukommen, die veranschaulichen, dass es besser wird. Schlüsseljahr ist das Jahr 2023. Dann werden die ganz großen Baustellen fertig sein: die gesamte Tramstrecke von der Cloche d'Or bis Kirchberg, der Ausbau des hauptstädtischen Bahnhofs und die Zweigleisigkeit der Bettemburger Strecke. Doch auch jetzt sind Verbesserungen zu sehen. In diesem Frühjahr ging die zweigleisige Sandweiler Strecke in Betrieb, Ende des Jahres wird der fünfte Bahnsteig am Hauptbahnhof fertig sein. Ab Dezember wird die Zahl der sogenannten Weststreckenzüge von Trier nach Luxemburg erhöht. Im Frühjahr 2020 wird der Turbo-Rond-Point Schaffner (Irrgarten, Anm. d. Red.) fertig sein.

Ende 2020 geht die Tramstrecke zum Hauptbahnhof in Betrieb und die RGTR-Busse verschwinden aus der Stadt. Was beim Modu 2.0 noch fehlt, ist das Infrastrukturkonzept bis 2035, damit wir künftig bei den Infrastrukturprojekten antizipieren statt mit den Baustellen hinterherzuhinken. Zur Hälfte der Legislaturperiode wollen wir den infrastrukturellen Teil des Modu 2.0 vorstellen. Wir müssen aber auch über die Entwicklung unseres Landes diskutieren ...

Luxemburger Wort: Der Ansatz, über qualitatives Wachstum zu diskutieren, war da. Doch heute redet kaum noch jemand darüber ...

François Bausch: Claude Turmes arbeitet am Programme directeur, das beschreibt, wie Luxemburg in den nächsten Jahren entwickelt werden soll. Luxemburg erlebt eine enorme wirtschaftliche Dynamik, die Kehrseite der Medaille sind indirekte Kosten, Kollateralschäden, die zeitverzögert über uns hereinbrechen, wie zum Beispiel der Bedarf an Infrastrukturen.

Wenn wie aus der Wachstumsspirale herauskommen wollen, können wir nicht mehr alles annehmen. Wir sollten die Prinzipien der Rifkin-Strategie ernster nehmen und keine Entscheidungen treffen, die im Widerspruch dazu stehen. Diese Diskussion muss geführt werden. Es geht darum, was das Land verkraften kann, und um den sozialen Zusammenhalt.

Luxemburger Wort: In der Zwischenzeit wurden bereits Entscheidungen getroffen, Google zum Beispiel. Sie haben gesagt, Google passt in die Wirtschaftsstrategie der Regierung. Claude Turmes sagt, Datenzentren wie das von Google stünden in völligem Widerspruch zum Klimaschutz ...

François Bausch: Das Problem ist nicht das Datenzentrum an sich, sondern wie es betrieben wird, also wie es gekühlt wird, wie viel Fläche und wie viel Wasser es verbraucht, wo der Strom herkommt. Wir brauchen Datenzentren mehr denn je. Und es gibt technologische Möglichkeiten, diese Datenzentren ressourcenschonender zu betreiben. Noch hat Google sich nicht für Luxemburg entschieden. Sollte es irgendwann so weit sein, müssen wir diese Dinge diskutieren.

Persönlich bin ich überzeugt, dass solche Konzerne daran interessiert sind, technologisch innovativ zu sein. Luxemburg könnte eine Vorreiterrolle einnehmen und zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: ein Unternehmen ansiedeln, das in die Wirtschaftsstrategie passt, und dies auf eine Art und Weise, die technologisch weit- oder europaweit wegweisend sein könnte. Die Diskussion über das Projekt gestaltet sich schwierig, weil wir nicht wissen, ob Google kommt und was das tatsächliche Projekt sein wird.

Luxemburger Wort: Theoretisch, könnte Luxemburg sich zurückziehen. Ist das eine Option?

François Bausch: Bei Google fände ich das falsch. Der intelligente Einsatz von digitalen Technologien kann helfen, viele Probleme zu lösen. Jede neue Technologie birgt Risiken und Gefahren, aber die sind alle lösbar. Es wäre ein falsches Signal, gerade bei diesen Zukunftstechnologien auf der Bremse zu stehen. Wir wollen hoch technologische Wirtschaftszweige aufbauen, mit einem großen Mehrwert für die Forschung und mit hoch qualifizierten statt Massenarbeitsplätzen. Wenn wir das Datenzentrum nach Luxemburg bekämen, wäre das ein gutes Signal an Start-ups und an internationale Forscher. Es wäre ein Fehler, ausgerechnet bei Google einfach Nein zu sagen. Was nicht bedeutet, dass wir zu allem Ja sagen sollen.

Luxemburger Wort: Sollte Google die technologischen Anforderungen nicht erfüllen, sagen Sie dann Nein?

François Bausch: In diesem Stadium sind wir noch nicht. Das Umweltministerium hatte Gespräche mit Vertretern von Google und die waren eher offen für Diskussionen. Die Debatte über den Wasser- und Energieverbrauch ist weltweit dieselbe, egal mit welchem Land Google verhandelt.

Luxemburger Wort: Welche Rolle spielen Buskorridore in Ihrem Konzept des öffentlichen Transports?

François Bausch: Eine große Rolle. Die Verkehrsprobleme werden nicht durch ein Verkehrsmittel gelöst, sondern durch die Kombination mehrerer Mobilitätsformen. Übermorgen stelle ich der Presse das neue Buskonzept vor. 2021 soll es eingeführt werden. Das Konzept beinhaltet viele Express-Buslinien. Ein erstes Projekt betrifft die Strecke Gonderingen-Kirchberg: morgens in die Stadt hinein, abends aus der Stadt raus.
Wir setzen intelligente Ampelschaltungen ein, die den Fluss des Busverkehrs verbessern. Und im ländlichen Raum entwickeln wir ein Konzept für Sammelbusse. Bei den Fahrgemeinschaften müssen wir noch eine Schippe drauflegen.

Wir möchten noch mehr Betriebe dafür gewinnen. Längerfristig kommt die Nutzung der Pannenspur auf den Autobahnen für Busse und Fahrgemeinschaften dazu. Wir beginnen mit der Strecke Luxemburg-Steinfort als Pilotprojekt. Die Umsetzung der neuen Buslinien erfolgt in Phasen und zieht sich über die Jahre 2020 bis 2022.

Luxemburger Wort: Im Wahlprogramm haben die Grünen sich für eine weitere Reduzierung der Nachtflüge und strengere Regeln ausgesprochen. Die Union des syndicats d'intérêts locaux de la Ville de Luxembourg (Usill) hat sich jüngst beschwert, die Zahl der Nachtflüge sei gestiegen. Ist das so?

François Bausch: Die Zahl ist sicher nicht gestiegen. Die Fluggesellschaften sind bemüht, Nachtflüge soweit es geht zu vermeiden, aber die Situation stellt mich noch nicht zufrieden. Noch in diesem Jahr erhöhen wir die Passagiertaxe von 3,5 auf sieben Prozent. Darüber hinaus planen wir die Einführung einer Start- und Landegebühr, die Flüge nach 23 und vor 6 Uhr stark bestraft. Wir können die Gebühr erst einführen, wenn wir die Piste erneuern. Das wird 2021 der Fall sein. Die EU-Kommission schreibt das so vor. Um die Gebühr einführen zu können, müssen wir nachweisen, dass wir Kosten haben.

Luxemburger Wort: Vor wenigen Wochen haben Sie mit Bildungsminister Claude Meisch die geplanten Schulinfrastrukturprojekte vorgestellt. Das Problem ist, an Flächen zu kommen. Wie wollen Sie dieses Problem langfristig lösen?

François Bausch: Wir wollen als Staat proaktiver vorgehen, um an Flächen zu kommen, ob das für den Wohnungsbau ist oder für staatliche Infrastrukturen. Der Druck ist enorm. Wir müssen präventiv vorgehen und bei der Entwicklung von Siedlungen die Infrastrukturen gleich mitplanen. In Esch/Schifflingen sind bereits jetzt Flächen für den Bau einer Schule reserviert. Die Frage, die sich stellt, ist: Wie weit schützen wir das Recht auf Eigentum? In keinem anderen Land wird dieses Recht so stark geschützt wie in Luxemburg. Die Schweiz - ein liberales Land - hat sich da neue Mittel und Wege gegeben, und das müssen wir auch tun. Beim Nordstadlycée wird das Kriterium "d'utilité publique" im Gesetz verankert. Es ist das erste Mal, dass wir im Hochbau die Enteignungsprozedur vorsehen. Es geht nicht darum, den Besitzern die Flächen wegzunehmen, ohne sie zu entschädigen. Aber wir müssen Grenzen setzen. Man kann nicht in Erpeldingen Preise verlangen wie auf dem Boulevard Royal.

Luxemburger Wort: Das trifft dann den kleinen Grundbesitzer, dabei sind es vor allem die Großgrundbesitzer, die aus Spekulationsgründen auf ihren Flächen sitzen bleiben. Wie wollen Sie dagegen vorgehen?

François Bausch: Ein erster Schritt besteht eben darin, das Kriterium "von öffentlichem Nutzen" anzuwenden. Im Wohnungsbau ist Sam Tanson dabei, Pisten auszuarbeiten. In zwei Jahren kommt die Steuerreform, die auch Elemente beinhalten muss, die in diese Richtung gehen. Wir werden die Grundsteuer reformieren.

Luxemburger Wort: Die Grundsteuerreform wird auch den kleinen Grundbesitzer treffen und den Wohnungsbau womöglich weiter verteuern ...

François Bausch: Man kann die Grundsteuer staffeln und so ausdifferenzieren, dass Menschen, die im Eigenheim leben und vielleicht noch ein Grundstück für ihre Kinder haben, geschützt werden. Aber wir müssen es angehen. Wenn wir die Dinge einfach so laufenlassen, kommen wir nie aus dem Dilemma raus. Der Staat und die Gemeinden müssen ihre Verantwortung übernehmen und erschwinglichen Wohnraum - vor allem Mietwohnraum - bauen. Und wir brauchen ein vernünftiges Steuersystem.

Luxemburger Wort: Sie haben für das Treffen der europäischen Verteidigungsminister in Helsinki den Klimaschutz auf die Tagesordnung setzen lassen. Welche Ergebnisse hat das Treffen diesbezüglich gebracht?

François Bausch: Es gab viele positive Reaktionen auf meine Rede. Wir müssen uns bewusst sein, dass der Klimawandel eines der größten Sicherheitsrisiken für die Menschheit ist. Wassermangel, Dürren sind der Nährboden für Konflikte. Die Flüchtlingswellen, die wir heute kennen, sind nichts im Vergleich zu denen, die wir haben werden, wenn der Klimawandel sich fortsetzt. Wir müssen unsere Verteidigungsstrategien auf diese Risiken ausrichten und unsere Armeen präventiv einsetzen, um zu helfen, die Konsequenzen in den Griff zu bekommen, die durch den Klimawandel verursacht werden. In der Sahelzone beispielsweise haben die meisten Konflikte ihren Ursprung im Wassermangel.
Wenn man das weiß, kann man die Armee einsetzen, um dort mit mobilen Wasseraufbereitungsanlagen zu helfen. Auch den ökologischen Fußabdruck der Armee müssen wir berücksichtigen.

Luxemburger Wort: In Luxemburg wird das von der Armee eher kritisch gesehen. Man hat Ihnen grüne Ideologie vorgeworfen und dass Sie die Sicherheit der Soldaten aufs Spiel setzen. Eigentlich müssten Sie erst einmal hier Überzeugungsarbeit leisten ...

François Bausch: Das tue ich auch. Aber die Soldaten in Gefahr bringen ... Ich weiß ja nicht, was die Menschen sich vorstellen. Ich bin nicht so naiv zu meinen, dass die Armee morgen mit Elektropanzern in den Einsatz geht (lacht). Darum geht es nicht. Aber wir wollen beispielsweise erreichen, dass der Häerebierg sich energetisch selbst versorgt. Was unsere Auslandsmissionen betrifft, könnten wir uns zum Beispiel im Bereich Wasseraufbereitungsanlagen spezialisieren. Oder im Bereich Energie: zum Beispiel in Afrika, mit dem Aufbau von solaren Wasserpumpen.

Luxemburger Wort: 2017 hat Etienne Schneider die Lignes directrices de la défense bis 2025 vorgestellt. Werden Sie die Richtlinien überarbeiten?

François Bausch: Das haben wir gemacht. Wir möchten weg von den Dingos hin zu Drohnen. Wir haben die Missionen neu ausgerichtet und die soziale Rolle der Armee in den Mittelpunkt gestellt. Mir ist wichtig, den freiwilligen Soldaten berufliche Perspektiven zu bieten.
Was den Militärsatelliten Govsat betrifft, ist mir wichtig, dass die Verträge, die wir abschließen, sauber sind. Das heißt, dass der Satellit nicht für Militäreinsätze genutzt wird, für die kein NATO-oder UNO-Mandat vorliegt.

Luxemburger Wort: Was planen Sie in puncto Militärmedizin und dem Militärspital?

François Bausch: Dieses Projekt läuft auch weiter, aber ich habe es angepasst. Ein Militärkrankenhaus zu bauen nur für den Notfall, so wie es ursprünglich geplant war, macht wenig Sinn. Mit der AMMD und der Uni werden wir jetzt ein Projekt auf die Beine stellen, um uns im Bereich Militärmedizin zu spezialisieren und Forschung zu betreiben.

 

Luxemburger Wort: Bei der Polizei wollen Sie eine neue Karriere schaffen. Was hat es damit auf sich?

François Bausch: Im Polizeiwesen gibt es Aufgaben, die von ausgebildeten Polizisten wahrgenommen werden, für die sie eigentlich überqualifiziert sind, und die der Polizei viele Ressourcen abziehen - ein Beispiel ist der Gefangenentransport. Solche Aufgaben könnten auch von Personen wahrgenommen werden, die einem spezifischen Polizeikorps angehören mit einer geringeren Qualifizierung.
Ein zweites Standbein könnte die Bewachung in den Ministerien oder im Parlament sein. Mir schwebt eine C-Karriere vor. Rekrutiert würden prioritär Freiwillige aus der Armee.

Luxemburger Wort: Konnten Sie in der Sommerpause Abstand vom politischen Stress nehmen?

François Bausch: Ja. Ich war drei Wochen weg, ein Mix aus Kultur und Ausruhen, wie ich es jedes Jahr tue. Reisen ist eines meiner Laster und ich weiß, dass mein Fußabdruck nicht der allerbeste ist. Aber ich stehe dazu, weil es wichtig ist, dass die Menschen ihren Horizont verlassen.

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