Interview mit Henri Kox im Luxemburger Wort

"Die Verhältnismäßigkeit muss gewahrt bleiben"

Interview: Luxemburger Wort (Dani Schumacher)

Luxemburger Wort: Henri Kox, das Fichier-Gesetz befindet sich seit Ende 2020 auf dem Instanzenweg. Es gibt Kritik, unter anderem seitens der CSV. Können Sie die Kritik nachvollziehen?

Henri Kox: Ich habe das Dossier von meinem Vorgänger François Bausch übernommen. Den Werdegang des Entwurfs halte ich für vorbildlich. Alle Beteiligten wurden in die Vorarbeiten eingebunden. Bei einem so wichtigen Gesetz ist das unerlässlich. Es geht darum, einen Mittelweg zu finden, der es einerseits der Polizei erlaubt, ihre Arbeit korrekt zu machen, und andererseits dem Datenschutz und der Privatsphäre der Menschengerecht wird. Es ist daher wichtig, dass wir einen möglichst breiten Konsens finden. Ich möchte allerdings darauf hinweisen, dass wir das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht haben. Ich warte die Gutachten ab und werde den Text, falls nötig, natürlich überarbeiten.

Luxemburger Wort: Konkret geht es um den Vorwurf, Sie hätten einige Passagen in den Entwurf eingeschrieben, die zuvor im Ausschuss nicht zur Sprache gekommen wären, Stichwort Bankgeheimnis...

Henri Kox: Diese Kritik der CSV kann ich so nicht gelten lassen. Die Passagen zum Bankgeheimnis wurden sehr wohl thematisiert. Das kann man übrigens im Sitzungsbericht vom 28. Oktober nachlesen. Es handelt sich offensichtlich um ein Missverständnis. Es stand von Anfang an im Entwurf, dass die Polizei unter bestimmten Bedingungen Einblick in 'fremde' Datenbanken nehmen kann. Das Gesetz zum Bankenregister wurde im vergangenen Jahr verabschiedet. Daher war seit langem klar, dass dieses Register auch in die Liste der nicht-polizeilichen Datenbanken aufgenommen werden muss. Die Liste wurde ergänzt, bevor ich den Gesetzentwurf auf den Instanzenweg geschickt habe. Es stimmt allerdings, dass ich in der Kommission nicht noch einmalexplizit auf die Ergänzung hingewiesen habe.

Luxemburger Wort: Es steht aber klar im Text, dass die Beamten zu administrativen Zwecken auf die Daten aus dem Bankenregister zurückgreifen dürfen...

Henri Kox: Ja, der Text enthält einen generellen Satz, der besagt, dass bestimmte nicht-polizeilichen Datenbanken zu administrativen Gründen eingesehen werden können. Allerdings bezieht dieser generelle Zusatz sich nicht auf das Bankenregister, sondern auf verschiedene nicht-polizeiliche Datenbanken, die beispielsweiseunter anderem von der Ausländerpolizei abgefragt werden können, die hin und wieder für das Außenministerium in Verwaltungsfragen tätig ist. Das sind also legale Missionen der Polizei, die weder unter police judiciaire noch unter police administrative im Sinne des Polizeigesetzes fallen. Beim Bankenregister gehen wir natürlich nicht über das entsprechende Gesetz vom vergangenen Jahr hinaus. Nur eine sehr begrenzte Zahl von Agenten und Beamten der Kriminalpolizei hat Zugang, um genau zu sein, handelt es sich um 116 hoch qualifizierte Spezialisten. Sie operieren nicht allein, die Finanzaufsicht CSSF muss hinzugezogen werden. Außerdem ist ein Zugriff auf die Daten nur im Zusammenhang mit dem Verdacht der Geldwäsche oder der Terrorfinanzierung möglich. 'Normale' Polizisten haben zu dieser Datenbank keinen Zugang. Auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole: Das Fichier-Gesetz basiert auf fünf großen Prinzipien: Transparenz, Rechtsstaatlichkeit, Gleichbehandlung, Gerechtigkeit und Effizienz.

Luxemburger Wort: Kritisiert wird auch, dass die Zugangsrechte nicht genau genug in dem Gesetz definiert werden. Lässt der aktuelle Text nicht zu viel Raum für Interpretationen?

Henri Kox: Nein, der Polizeidirektor, in Zusammenarbeit mit dem Datenschutzbeauftragten, entscheidet über die Zugangsrechte, und zwar abhängig vom Profil, das heißt, je nachdem, welche Arbeit, der jeweilige Polizeibeamte verrichtet. Beamte, die Streife fahren, brauchen beispielsweise andere Zugangsrechte, als ihre Kollegen in der Verwaltung. In dem Entwurf werden die Bedingungen genau festgelegt. Zurzeit sind wir dabei, die Zugangsrechte zu regeln, damit wir sofort loslegen können, wenn das Gesetz in Kraft tritt. Weil die Polizei als einzige Institution für die öffentliche Ordnung zuständig ist und weil sie in der Vergangenheit ins Kreuzfeuer der Kritik geraten war, muss sie sich einer strengeren Kontrolle unterwerfen, als andere Behörden, wenn sie das verloren gegangene Vertrauen zurückgewinnen will. Nicht nur der Datenschutzbeauftragte und die nationale Datenschutzkommissionkönnen über die Logfiles überprüfen, welcher Beamte wann welche Datenbanken konsultiert hat. Auch die Generalinspektion der Polizeikann die Zugangsrechte kontrollieren. Die IGP kann sich selbst einschalten oder aber auf Weisung des Ministers aktiv werden.

Luxemburger Wort: Die Direktorin der IGP, Monique Stirn, hatte bei der Vorstellung des Gutachtens zum Thema Datenschutz Ende 2019 erklärt, bei der Polizei fehle es an dem nötigen Problembewusstsein. Hat sich im vergangenen Jahr etwas geändert?

Henri Kox: Man darf die Polizisten nichtunter Generalverdacht stellen. Ja, es gab einige Fälle, in denen unerlaubterweise auf Daten zugegriffen wurde. Das kommt auch in anderen Verwaltungen vor. Wir sind aber auf dem richtigen Weg, es gibt Fortschritte. Zum einen liegt mittlerweile ein Verhaltenskodex vor, der nun mit Leben gefüllt werden muss. Zum anderen spielt das Thema Datenschutz in der Ausbildung heute eine größere Rolle. Und gerade weil wir in den vergangenen Monaten viele neue Polizeianwärter einstellenkonnten, wird sich das Problembewusstsein schnell ändern. Ichglaube, wir sind auf dem richtigen Weg.

Luxemburger Wort: Hat die Polizei also letzten Endes von der so genannten Fichier-Affäre profitiert?

Henri Kox: Ja, ich glaube schon. Es geht darum, dass wir das Ganze besserbegleiten. Es muss natürlich immer gewährleistet sein, dass die Polizei ihrer Aufgabe gerecht werden kann. Die Verhältnismäßigkeit muss gewahrt bleiben. Das bleibt ein Spagat. Es darf aber auch nicht sein, dass die Spielregeln nur für die Polizei gelten. Alle Behörden müssen sich an die Datenschutzregeln halten. Der Entwurf sieht bei Verstößen gegen das Datenschutzgesetzstrafrechtliche Sanktionen vor. Ich glaube, die Debatte hat ganzallgemein das Bewusstsein für den Datenschutz gestärkt.

Luxemburger Wort: In Ihrem Entwurf sind Übergangsfristen von bis zu fünf Jahren vorgesehen. Wieso dauert es so lange, bis die Datenbanken gesetzeskonform sind?

Henri Kox: Wir haben maximale Fristeneingeschrieben, das bedeutet aber nicht, dass wir nicht früher fertigwerden. Ich habe den Gesetzentwurf Ende vergangenen Jahres auf Instanzenweg geschickt. Bis das Gesetz verabschiedet werden kann, wird es also noch eine Weile dauern. Ich rechne nicht damit, dass es vor dem Sommer 2022 in Kraft treten wird. Zudem muss man den Umfang der Reform bedenken. Im Zusammenhang mit der Digitalisierung gibt es 50 Einzelprojekte. Ich glaube, es ist besser, wir machen jetzt alles richtig, anstatt die Umstellung übers Knie zu brechen und Fehler in Kauf zu nehmen. Die Digitalisierung ist nämlich von herausragender Bedeutung, auf allen Ebenen. Das reicht von den Dateien für die Überstunden der Polizeibeamten, bis hin zur alltäglichen Polizeiarbeit vor Ort. Die Einsatzwagenmüssen beispielsweise flächendeckend mit Laptops ausgestattet werden. Das vereinfacht die Arbeit und spart Zeit, Zeit, die die Beamten nutzen können, um vor Ort mehr präsent zu sein. Wir müssen aber nicht nur Laptops kaufen, die gesamte Informatikmuss stimmen. Das heißt, wir müssen neue Hard- und Softwarekaufen. Bei einer staatlichen Verwaltung müssen die Aufträge ausgeschrieben werden. All das braucht Zeit. Die Übergangsfristen sind also gar nicht so lang.

Luxemburger Wort: Apropos Ausstattung. Der Kostenpunkt für die Umstellung wurde mit 21 Millionen Euro veranschlagt. Das ist viel Geld, zumal wenn man weiß, die die Anpassungen bei der Justiz auch ins Geld schlagen werden...

Henri Kox: Auch in der Kostenfrage gilt: Wir haben einen Maximalbetrag in den Text eingeschrieben. Es ist aber nicht gesagt, dass wir das Budget vollkommen ausschöpfen werden.

Luxemburger Wort: Das Fichier-Gesetz steht und fällt mit der Datenschutzreform bei der Justiz. Bislang liegt noch kein Entwurf vor. Wäre es nicht sinnvoller gewesen, die beiden Entwürfe gleichzeitig auf den Instanzenweg zu schicken?

Henri Kox: Das ist nicht ganz falsch. Doch wir standen enorm unter Druck und Justizministerin Sam Tanson wollte das Gutachten der autorité de contrôle judicaire noch abwarten. Irgendwo mussten wir jedoch anfangen. Deshalb war es auch so wichtig, dass der Justizausschuss und die Kommission für die innere Sicherheit gemeinsam getagt und zusammen an dem Projektgearbeitet haben. Die Vertreter der Justiz waren ebenfalls in die Arbeiten zum Fichier-Gesetz eingebunden, schon allein wegen des Prinzips der Rechtsstaatlichkeit. Wann genau die Justizministerin ihren Entwurf einbringen wird, weiß ich nicht, das muss sie selbstentscheiden. Eins ist allerdings sicher, die Umstellung bei der Justiz wird eine große Herausforderung. Darauf habe ich als Polizeiminister aber keinen Einfluss. Doch so lange diese Umstellung nicht fertig ist, klappt es mit dem Automatismus nicht. Denn es ist die Justiz, die entscheidet, welche Daten aufbewahrt werden und welche gelöscht werden. Diese Schnittstelle ist der zentrale Punkt der gesamten Reform.

Luxemburger Wort: Es soll in Zukunft einen aktiven und einen passiven Bereich in der Zentraldatei geben. Wie muss man sich das genau vorstellen?

Henri Kox: Wir haben uns sowohl an dem belgischen wie an dem französischen Gesetz orientiert. Diese Aufteilung ist ein zentrales Element. Sie existiert schon länger, wurde aber angepasst, um den Datenschutzanforderungen bessergerecht zu werden. Der aktive Bereich enthält die Daten, mit denen die Polizei tagtäglich arbeitet. Aber nur so lange, bis die Justiz den Fall abschließt und archiviert, beispielsweise, weil es zu einem Freispruch gekommen ist oder weil ein non-lieu gesprochen wurde. Und genau hier soll dann der Automatismus einsetzen, das heißt, dann wird diese Information automatisch an die Polizeiübermittelt und dort wandern die Daten dann in den passiven Bereich. Dort sind sie nicht einsehbar, außer die Justiz gibt den Zugang wieder frei. Wer nicht damit einverstanden ist, dass seine Daten im passiven Bereich gespeichert werden, kann Rekurs bei der Justiz einreichen.

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