Interview mit Henri Kox im Telecran

"Grün und Polizei: Kann das gut gehen?"

Interview: Telecran (Fern Morbach)

Telecran: Seit Mitte 2019 gehören Sie der Luxemburger Regierung an. War es eine gute Idee, einem grünen Politiker die innere Sicherheit und damit die Polizei anzuvertrauen?

Henri Kox: Mag sein, dass die Polizei und die innere Sicherheit nicht Bestandteil meiner ursprünglichen politischen DNA sind. Allerdings traten und treten gerade wir Grünen immer für den Rechtsstaat ein. Bei neuen Gesetzen bemühen wir uns um das Gleichgewicht zwischen dem, was sein muss und der Verhältnismäßigkeit der Mittel. Es geht immer auch um die Frage, wie weit man die Freiheit des einzelnen Bürgers einschränken darf. Grüne Politik und innere Sicherheit sind kein Widerspruch. Es ist aber schon wichtig, dass man als grüner Politiker einen Einblick in die Polizeiarbeit bekommt und dass die Grünen sich mit diesen Fragen auseinandersetzen. Das muss eine breit aufgestellte Partei tun.

Telecran: Das Thema Sicherheit schlägt immer wieder hohe Wellen. In der Hauptstadt sind nun mehr Polizisten unterwegs. Gehen solche Maßnahmen nicht zu Lasten der allgemeinen Sicherheit?

Henri Kox: Die verstärkte Präsenz der Polizei in der Hauptstadt darf nicht als Pflaster missverstanden werden, das wir unter dem Druck der Stadt-Luxemburger Politiker auf eine Wunde klebten. Seitdem ich als Minister für die Polizei zuständig bin, suche ich zusammen mit der Polizei nach Lösungen, die Bestand haben und die nicht regelmäßig durch neue Diskussionen etwa über den Personalmangel in Frage gestellt werden. Ein neues Einsatzleitsystem ermöglicht es beispielsweise, die unterschiedlichen Aufgaben der Polizei, wie Präsenz und Intervention, zu vereinen. Eine bessere Arbeitsaufteilung zwischen Festnahmen und anschließenden Verhören und dem Verfassen von Berichten macht obendrein eine dauerhafte Präsenz von Beamten und Beamtinnen im Außendienst möglich. Allerdings wird das System erst nach der Einstellung und Ausbildung von neuen Polizistinnen und Polizisten landesweit optimal funktionieren.

Telecran: Trotzdem: Was ist heute wichtiger, die Bekämpfung der großen Finanzkriminalität oder die Bekämpfung der hauptstädtischen Kleinkriminalität? Die CSSF, die den Finanzplatz überwacht, hat heute rund 1000 Mitarbeiter. Die Finanzabteilung der Kriminalpolizei muss mit einigen Dutzend Beamten auskommen. Ist dies nicht ein Widerspruch?

Henri Kox: Die Frage ist berechtigt und niemand kann abstreiten, dass der internationale Druck auf Luxemburg groß ist, beispielsweise bei der Geldwäsche- und der Terrorismus-Bekämpfung. Auch deshalb stellen wir nicht nur Polizisten, sondern auch hochspezialisierte Fachkräfte für die Kriminalpolizei ein, die nicht aus der Polizei kommen. Ohne solche Fachleute kommen wir nicht weiter. Ich möchte, dass klassisch ausgebildete Polizisten klassische Polizeiarbeiten erledigen. Wir werden diese Polizisten aber besser ausstatten, damit sie in Zukunft bei Ermittlungen der Kriminalpolizei schneller und besser zuarbeiten können. Dabei legen wir großen Wert auf die Digitalisierung.

Telecran: Sie haben in den vergangenen Wochen wiederholt auf die Beschleunigung und Verbesserung der Digitalisierung hingewiesen. Das Internet wurde vor einem halben Jahrhundert erfunden. Wie kann es sein, dass es bei der Polizei immer noch Nachholbedarf gibt?

Henri Kox: Wie in vielen anderen Bereichen wurde auch bei der Polizei die Digitalisierung zum Teil verschlafen. In den vergangenen Jahren führten beispielsweise Überstunden und Überstundenreglungen immer wieder zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Polizeidirektion und Gewerkschaften. Dazu muss man aber wissen, dass es bis vor Kurzem kein einheitliches System für die Erfassung der Überstunden gab; jedes Kommissariat arbeitete mit eigenen Dateien, die nicht alle und nicht immer miteinander abgeglichen werden konnten. Ende dieses Jahres soll die Polizei nun endlich ein neues System für die Arbeitsstundenerfassung in Betrieb nehmen. Darüber hinaus möchte ich aber auch, dass in Zukunft jeder Beamte einen eigenen Computer erhält — so wie es in Nachbarländern schon heute der Fall ist. Von heute auf morgen allerdings lassen sich auch bei der Polizei solche Projekte nicht umsetzen. Heute hat die Digitalisierung aber oberste Priorität, in den kommenden Jahren investieren wir mehr als 50 Millionen Euro.

Telecran: Täuscht der Eindruck oder benötigt man bei der Polizei beziehungsweise in Ihrem Ministerium immer sehr viel Zeit für die Einführung von Neuem? Die Bodycams stehen seit Jahren auf der Tagesordnung?

Henri Kox: Wir haben eine Riesenverwaltung mit rund 2500 Beamten. Im Gegensatz dazu verfügt das Ministerium für innere Sicherheit nicht über die Ressourcen, die benötigt würden, um im Eilverfahren neue Gesetze oder Reglements auszuarbeiten. Wir müssen "step by step" arbeiten. In den vergangenen Jahren kamen nacheinander die Datenbanken, dann die Videoüberwachung und zuletzt die Bodycams an die Reihe. Die Polizei wird mit Bodycams ausgestattet, die Regierung hat am 20. Oktober grünes Licht dafür gegeben. Jeder Beamte und jede Beamtin soll eine solche Kamera tragen und benutzen dürfen. Im Gegensatz zu großen Ländern können wir nicht jedem Polizisten die freie Wahl überlassen.

Telecran: Polizei-Generaldirektor Philippe Schrantz plädierte jüngst ungewohnt offen für die schnelle Einführung von Bodycams. Seine Äußerungen kann man als Kritik an Ihnen auslegen. Wie gut oder schlecht ist das Verhältnis zwischen dem Polizei-Minister und dem Polizei-Generaldirektor?

Henri Kox: Allen Unkenrufen zum Trotz ist dieses Verhältnis hervorragend. Wir haben wenige bis keine Meinungsverschiedenheiten. Polizei und Ministerium müssen eine gemeinsame Sprache sprechen. In den vergangenen Monaten und gerade während der Corona-Krise wurde der Arbeitsalltag der Polizei noch schwieriger. Immer häufiger werden Polizisten bei Einsätzen gefilmt, die Videos werden in soziale Netzwerke hochgeladen und schon gehen Shitstorms los. Unter anderem darauf machte Philippe Schrantz aufmerksam. Mit Bodycams kann die Arbeit der einzelnen Polizisten bei Einsätzen aufgezeichnet und dokumentiert werden. Im Fall des Falles kann genau nachvollzogen werden, wie ein Einsatz ablief, ob es zu Fehlern kam, ob Polizisten provoziert, angegriffen oder beleidigt wurden. Dennoch werden Bodycams nicht auf einen Schlag alle Probleme lösen. Am wichtigsten bleiben nach wie vor eine umfassende Ausbildung und eine ständige Weiterbildung. Polizisten müssen immer wieder neu auf deeskalierendes Verhalten vorbereitet werden.

Telecran: Vor wenigen Tagen stellten Sie und vier weitere Minister ein 27 Punkte umfassendes Maßnahmen-Paket gegen die Drogenkriminalität vor. Sie kündigten unter anderem eine erweiterte Video-Überwachung an. Was kann man sich darunter vorstellen?

Henri Kox: Zum einen fassen wir die Ausdehnung der Kameraüberwachung auf Bonneweg ins Auge, zum anderen werden wir prüfen, ob sich mehr Sicherheit nicht durch städtebauliche und beleuchtungstechnische Maßnahmen erreichen lässt. Wenn wir Kameras zur Überwachung des öffentlichen Raumes einsetzen, muss dieses System optimal und effizient genutzt werden. Auch deshalb müssen wir uns noch einmal mit der Frage beschäftigen, was die Video-Überwachung bringen soll.

Telecran: Wie hat sich Ihr Verhältnis zu den Polizei-Gewerkschaften entwickelt? Selbst Pascal Ricquier, der wortgewaltige Vorsitzende der SNPGL, hält sich in jüngster Zeit mit lauter Kritik zurück.

Henri Kox: Es bestehen weiterhin Meinungsverschiedenheiten zwischen Polizeiminister und Polizeigewerkschaften, mittlerweile tragen wir diese Meinungsverschiedenheiten aber nicht mehr in der. Öffentlichkeit aus. Ich organisiere regelmäßig mit allen Gewerkschaften Treffen, bei denen aktuelle Themen besprochen werden. Mit den Gewerkschaften werde ich demnächst auch noch einmal über psychologische Hilfe für Polizisten sprechen.

Telecran: Ihr Vorgänger François Bausch hatte im Sommer 2019 angekündigt, im Zeitraum 2020, 2021 und 2022 insgesamt 850 neue Stellen zu schaffen. Der damals vorgegebene Zeitplan wurde nicht eingehalten.

Henri Kox: In der Tat haben wir etwa ein halbes Jahr Verspätung bekommen. Dafür gibt es eine ganze Reihe von Gründen und Erklärungen: unter anderem die Corona-Krise, der Bau einer neuen Polizeischule und die Vorbereitung des doch sehr aufwändigen Einstellungsprogrammes. Immerhin hatten sich im ersten Jahr rund 700 Frauen und Männer beworben — die Auswahl von 200 neuen Polizistinnen und Polizisten lässt sich nicht an einem Tag erledigen.

Telecran: Auf der einen Seite werden 850 neue Stellen geschaffen, auf der anderen Seite scheiden laufend Polizisten aus. Werden diese Abgänge ersetzt?

Henri Kox: Diese Frage beantworte ich mit einem klaren Ja. Wir haben immer von einer Erhöhung der Netto-Zahlen gesprochen. Wir schaffen bei der Polizei nicht nur 850 neue Stellen, wir ersetzen darüber hinaus auch alle Beamtinnen und Beamte, die beispielsweise in Rente gehen. Unter dem Strich führt das dazu, dass unser Einstellungsprogramm von ursprünglich vorgesehenen drei Jahren auf vier oder sogar fünf Jahre erweitert werden muss. Auch bei der Polizei gibt es heute Teilzeitarbeit und Elternurlaub. Auf diese neuen Formen der Lebensgestaltung müssen wir reagieren und wir müssen darauf vorbereitet sein.

Telecran: In den kommenden Jahren wächst die Polizei von derzeit 2500 auf fast 3500 Beamtinnen und Beamte. Der Personalbedarf ist sehr groß. Dabei wird in Luxemburg in fast allen Branchen über Personalmangel geklagt.

Henri Kox: Von der Polizei wird mir gesagt, dass es weiterhin genügend Luxemburger Bewerber gibt. Das Interesse an der Polizei sei unverändert riesengroß. Es zahlt sich aus, dass wir die Altersgrenze und den Umweg durch die Armee abschafften. Vor Kurzem besuchte ich die Polizeischule, dabei wurde mir erneut bestätigt, dass sich für einen Job bei der Polizei mittlerweile Frauen und Männer aus allen Bereichen, Branchen und Berufen bewerben. Unter den Bewerbern sind ebenso Buchhalter und Frisöre wie Angestellte von Supermärkten oder Mitarbeiter aus Personalabteilungen großer Unternehmen. Diese neue Vielfalt — hoffe ich — wird sich positiv auf die Polizei auswirken. In bin zuversichtlich, dass wir alle offenen Stellen besetzen können.

Telecran: Wird die Polizei in absehbarer Zeit auch Nicht-Luxemburger einstellen müssen?

Henri Kox: Wir werden uns irgendwann mit der Ausländer-Frage befassen müssen. Zurzeit kann die Polizei aus einem anderen Reservoir schöpfen: Es möchten immer mehr Frauen zur Polizei. Wir werden abwarten, wie sich die Dinge entwickeln, denn auch dem CGDIS wurden 300 neue Stellen bewilligt, die in den kommenden Jahren besetzt werden müssen. Entscheidend wird es eh sein, die neuen jungen Polizistinnen und Polizisten optimal auf ihren Beruf vorzubereiten und in die Polizei zu integrieren. Schwieriger wurde es in den vergangenen Jahren allerdings auch, noch genügend Anwärter für die Offiziers-Laufbahn zu finden. Neben 600 neuen Polizistinnen und Polizisten brauchen wir auch fast zwei Dutzend neue Führungskräfte.

Telecran: Die Ausbildung der Polizeianwärter braucht Zeit. Die Schaffung neuer Planstellen bedeutet nicht, dass von einem Tag auf den anderen mehr Polizisten in den Einsatz kommen.

Henri Kox: Den ersten ganz großen Schritt nach vorn machen wir 2023. Dann kommen 200 fertig ausgebildete junge Polizisten in den Einsatz, außerdem noch 200 Anwärter, die im zweiten Jahr ihrer Ausbildung handlungsorientierten Unterricht in unterschiedlichen Polizeiabteilungen erhalten. Im zweiten Jahr arbeiten sie vier Monate lang bei der Kriminalpolizei, außerdem lernen sie während je vier Monaten den Polizeialltag in einer großen und in einer kleinen Region kennen. Für die ersten 200 Anwärter beginnt dieser handlungsorientierte Unterricht im Polizeialltag im Jahr 2022.

Telecran: Die große Kriminalität ist ein internationales Geschäft. Welche Hausaufgaben muss Luxemburg hier erledigen?

Henri Kox: Von einigen Ausnahmen abgesehen, blieb Luxemburg bislang zum Glück von der ganz großen Kriminalität verschont. Dennoch müssen wir international am Ball bleiben, der Austausch mit unseren Nachbarländern ebenso wie die Zusammenarbeit mit Einrichtungen wie Europol sind extrem wichtig. Luxemburg muss seinen Beitrag leisten, damit die Kriminalität auf internationaler Ebene effizient bekämpft werden kann. Allein kann Luxemburg nichts gegen die wachsende Internetkriminalität oder internationale Kinderporno-Ringe ausrichten. Diese Herausforderung ist enorm groß. Es stimmt aber, dass über Finanzkriminalität weniger emotionale Diskussionen geführt werden als über die alltägliche Kleinkriminalität. Trotzdem dürfen wir die Bekämpfung der Finanzkriminalität nicht vernachlässigen.

Telecran: Sie weisen immer wieder auf die Wichtigkeit der Prävention hin, auch und gerade im Bereich Drogenkriminalität. Halten Sie auch nach dem ersten Jahr an der Spitze des Ministeriums für innere Sicherheit an der Prävention fest?

Henri Kox: Ich bleibe dabei: Sicherheitspolitik muss einhergehen mit Präventionspolitik. Mein erstes Jahr als Minister für innere Sicherheit hat mich in dieser Auffassung bestätigt und bestärkt. Die Polizei kann nicht alle Probleme lösen. Ich bleibe auch dabei, dass Luxemburg die Präventionsarbeit in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten sehr, zu sehr vernachlässigte. Dies trifft besonders auf die Bekämpfung der Drogenkriminalität zu. Deshalb haben wir jetzt ein umfassendes Vorbeugungsprogramm ausgearbeitet.

Zum letzten Mal aktualisiert am